Dagmar Dällenbach besuchte anlässlich einer Ausstellung den Kunstmaler Lukas Düblin
Der Garten ist nicht einer jener gepflegten Vorstadtgärtchen, wie man sie bei uns so häufig antrifft. Keine geschnittenen Rosen, kein Millimeterrasen dahinter. Ein erster Eindruck setzt sich in meinem Kopf fest. Hier wohnen Leute, deren Idee es nicht ist, die Natur zu beschneiden, zu bezwingen. Sie wird so belassen wie sie ist, ihre Schönheit wird nicht in einen Rahmen gedrängt.
Eigentlich bin ich kein grosser Kunstbetrachter, ganz einfach Freude an Schönem verbindet mich mit einem Bild. Aber ist dies Voraussetzung genug, um mit einem Künstler über seine Arbeit zu sprechen?
Als ich in das Haus eintrete, strahlt mir eine warme Atmosphäre entgegen. An den Wänden des Hausflurs hängen Bilder, die ich im Vorbeigehen betrachte. Es sind fein gemalte Blumenbilder. Ich werde zwei Stockwerke hinaufgeführt, in den Raum, wo Lukas Düblin am Arbeiten ist. Ein grosser Mann mit grauem Bart. Seine Augen sind offen und klar, keine kritische Verschlossenheit drängt mich zurück.

Es wird mir die Zeit gelassen, die Ausstellung in Ruhe zu betrachten. In der Scheune, wo der eine Teil der Bilder ausgestellt ist, sehe ich als erstes nicht einfach Bilder in einem Raum, ich befinde mich selbst in einem Bild, in einem lebenden Raum mit Ausstrahlung. Die alte Scheune ist sauber, aber es wurden keine Beschönigungen angebracht. Die Holzwände sind nicht mit schönen Latten überdeck, es ist nichts neu gestrichen, das Elektrische nicht unter Gips versteckt. In diesem Raum, der mich aus nichts herausreisst, der ein Stück Leben darstellt, befinden sich gleichsam lebende Bilder. Landschaftsbilder, Bilder von Kühen, Wäldern, auch abstrakte Gemälde. Ich bin fasziniert, denn hier wurde nicht etwas auseinandergerissen, sondern vielmehr etwas zusammengefügt. Kein enger, weisser Raum erdrückt mich, in dem sture Anordnung der Bilder dem Betrachter bereits etwas entreissen, wo das Bild wie abgeschnitten endet. Hier verfliessen die Bilder mit ihrer Umgebung, sie haben Dimensionen, sind nicht durch ihre Rahmen begrenzt. In einer Ecke steht eine gewachsene Holzfigur, sie lockert auf. Ein grosses Wiesenblumenbouget bringt noch mehr Leben in den Raum. Ein alter Leiterwagen ist Zeugnis vergangener Zeit.
Nach einer Weile begebe ich mich zurück ins Haus. Hier ist der zweite Teil der Bilder ausgestellt. Es sind fein gemalte Aquarelle, Bilder von Wildblumen. Alles ist voller Gefühl, ich spüre, wie es lebt. Mein Staunen schlägt allmählich in Bewunderung um. Wieviel Beobachtung steckt doch hinter jedem seiner Bilder. Ob mit kräftigen Farben oder mit weniger kräftigen, ob viele Blumen oder nur eine einzige, jedes Bild wirkt für sich und auch dem ungeschulten Laienauge ist sofort klar, welches Können sich hinter jedem Gemälde verbirgt.Ich begebe mich wieder hinaus ins Atelier, um mit Lukas Düblin über seine Arbeit und sein Leben zu sprechen:
Lukas Düblin wurde 1933 in Oberwil / BL geboren Er wuchs in Oberwil und Ettingen, wo er auch heute noch lebt, auf. Er ist verheiratet, hat vier Kinder. Sein Vater war ebenfalls Kunstmaler, aber wie ich aus unserem Gespräch heraushöre, war dies nicht ein vermeintliches Sprungbrett für seine künstlerische Laufbahn. Er schildert den Vater als weniger kompliziert, aber sehr talentiert. Er war ein guter Zeichner und seine Arbeit findet zweifelsohne Anerkennung beim Sohn. Die Persönlichkeit des Vaters aber war weniger gespalten, Intellekt verband er mit kaltem Denken. Auch war er weniger offen für Experimente, welche ein grosser Teil seines künstlerischen Werkes sind. So führt er mir zum Beispiel farbige Glaswürfel, über’s Eck an Ketten aufgehängt und dadurch beweglich, vor. Es ist ein Spiel, die Farben, Formen und Figuren die zu beobachten sind, eröffnen eine neue Dimension. Sie verschieben sich durch die Drehbewegung, immer Neues kommt zum Vorschein. Farben wie Formen ändern sich laufend. Dass sich gleichsam alles fortwährend ändert, zeigt sich auch in seinen Bildern. Zusammenhänge zwischen romantischen Landschaften und abstrakten Bildern werden klar. So bringt er es beispielsweise fertig, an ein und demselben Standpunkt, von ein und derselben Sache zwei verschiedene Bilder, respektive zwei verschiedene Darstellungsmethoden (Anschauungsmöglichkeiten) aufzuzeigen. Zum einen ein naturgetreues Landschaftsbild auf dem jeder Baum, jeder Grashalm mit viel Sorgfalt gemalt ist, zum andern ein abstraktes Bild, auf dem nur noch die Farben auf eine Landschaft schliessen lassen. Ich spreche ihn darauf an, erscheint es mir doch wichtig, gerade über diese so oft verspottete abstrakte Malerei ein bisschen mehr zu erfahren. Es ist verblüffend, wie genau er mir Details und Entstehungsgeschichte eines solchen Bildes erläutern kann. Wiesen, Wälder, generell Landschaften, sind verworrene Gefilde. Man kann mit ihnen experimentieren, zum Beispiel versuchen, sie zu vereinfachen. Immer ein bisschen mehr der komplizierten Form weglassen, solange bis man vermag, nur noch mit den Farben die Landschaft auszudrücken. Als Lukas Düblin begann, seine Bilder zu reduzieren, begann er gleichzeitig, ein Grundelement zu suchen, solange bis er es schliesslich fand: das Quadrat. In vielen seiner Bilder, seien es Abstrakte, seien es Landschaftsbilder, lässt sich tatsächlich die Form des Quadrates erkennen. Aus dieser Arbeit mit dem Quadrat entstand die Arbeit mit dem Würfel. Denn was liegt näher als der Würfel, wenn man ein Quadrat in den Raum strecken möchte? Für einen Künstler, Maler, sind diese Zusammenhänge sicher erkennbar. Wie ist es nun aber mit dem Laien, dem Laienpublikum? Wie reagiert der «normale» Betrachter auf solches Schaffen? Ist er überhaupt fähig, Wesentliches zu erkennen?
«An ein und demselben Standpunkt werden von ein und derselben Sache zwei verschiedene Bilder, respektive Darstellungsmethoden aufgezeigt»
Lukas Düblin stellt bei sich zu Hause aus, ein grosser Teil seines Publikums ist aus der näheren Umgebung. So ist er natürlich mit ihm verwachsen, kennt es. Für ihn ist es wichtig, was der Mensch mit dem Bild macht, wie er ich damit auseinandersetzt. Während der Zeit, als er vorwiegend abstrakt malte, konnte er schon eine gewisse Absonderung erkennen, da er nicht überall verstanden wurde. Kinder, so erzählt er, seien meist offener für abstrakte Kunst. So verwunderlich erscheint dies nicht, ist doch ihre Phantasie noch nicht so sehr in die Grenzen des realen Lebens gezwungen.
Die Frage, ob er mit seiner Arbeit ein Ziel verfolge, wirkt im Nachhinein fast naiv. Das kann man nicht! Der Wille zum Gestalten ist da, ein Drängen von Innen, das einem unweigerlich zum Malen zwingt. Für ihn gibt es genug Stoff, für ihn ist Malen eine Art der Problembewältigung. Wie ist es mit den Zweifeln, kamen solche je auf, war er sich je unsicher, kam ihm je der Gedanke aufzuhören? «Ja, natürlich.» Die Antwort ist klar und deutlich. Es gibt immer Momente im eben, in denen man den Sinn zu verlieren glaubt, in denen der Halt, vielleicht auch ein bisschen das Selbstvertrauen, zu schwinden drohen. Vor allem in der Kunstpolitik entstanden Konflikte, da er zu offen, zu ehrlich war. Es war nicht bereit, in der der Kunstszene Kompromisse einzugehen.
Noch einmal komme ich auf die Ausstellung zurück, die mir immer und immer wieder im Laufe unseres Gespräches als Background diente. Nach welchen Kriterien werden die Bilder ausgesucht und zusammengestellt? Gibt es Regeln, auf was wird geachtet? Ursprünglich wurden sie sehr streng ausgesucht, sie mussten zusammenpassen. Mit der Zeit aber erkannte er, dass dieses Zusammenpassen auch Sterilität provoziert, dass Kontraste herausfallen. Heute stellt er fast alles aus, was erarbeitet wurde.
Lukas Düblin ist ein Künstler, dem grosse Beachtung gebührt und der mit viel Herz, Sorgfalt und einer grossen Beobachtungsgabe Wesentliches zu unserer Kunstszene beiträgt.
Publiziert in ON THE ROAD No. 8, Januar 1986