- Ausgabe: Schwabe Magazin, Ausgabe 2, 2011
Ein Gespräch mit dem Historiker Peter Haber
Das Internet eröffnet Kommunikationsmöglichkeiten, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren. Ein epochaler Medienumbruch scheint sich anzubahnen. Lassen sich anhand von geschichtlichen Vergleichen Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung ziehen?
Herr Dr. Haber, der Journalist Wolfgang Riepl hat 1913 in seiner Dissertation «Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer» ein vielzitiertes Gesetz aufgestellt, wonach kein neues Medium ein bestehendes vollkommen ersetzt oder verdrängt. Das trifft beispielsweise auf das Fernsehen zu, das weder die Tagespresse noch den Hörfunk zum Verschwinden gebracht hat. Hat das «Riepl’sche Gesetz» bezogen auf die digitalen Medien heute noch Gültigkeit oder ist es grundsätzlich widerlegt worden?
Das «Riepl’sche Gesetz» – das im Grunde genommen ja kein Gesetz, sondern eher ein Theorem ist – besagt nur, dass neue Medien alte nicht verdrängen, sondern ergänzen. Ich würde es in unserem Fall so formulieren: Das neue Medium, nämlich das Netz, zwingt das Medium Buch, sich seiner besonderen Werte bewusst zu werden. Damit wird nicht das Buch verdrängt, sondern es wird zu einer funktionalen Ausdifferenzierung zwischen Buch und Netz kommen.
Werden sich also auch alle anderen Medien, Radio, Fernsehen, Kino etc., mit der aufkommenden Digitalisierung neu definieren müssen?
Ja, denn der Computer ist tatsächlich ein Medium, das andere Medien integriert. Welches Medium nutzen wir, wenn wir uns eine Fernsehsendung auf das Handy «streamen» lassen? Schauen wir dann fern oder surfen wir im Netz? Übrigens bereitet dieses Problem grosses Kopfzerbrechen, wenn Nutzungszahlen und Reichweiten erhoben werden sollen. Für das Buch bedeutet dies, dass es ebenfalls im Netz neu wieder auftauchen kann. Die Medienwissenschaften sprechen bei diesem Phänomen von Remediation.
Stellt sich in Europa die Frage nach der Verdrängung des gedruckten Buches durch digitale Medien wie eBooks stärker als in anderen Kulturkreisen?
Unsere abendländische Kultur ist in den letzten rund 500 Jahren sehr stark vom Buch als Leitmedium geprägt worden. Das hatte auch zur Folge, dass zum Beispiel Schriftlichkeit höher als Bildlichkeit, dass Linearität höher als Sprunghaftigkeit bewertet wird. Ich kann über die Auswirkungen des digitalen Wandels auf Kulturen, die eine andere Mediengeschichte haben, nur spekulieren; vieles spricht aber dafür, dass sich die Phänomene, wie wir sie hier bei uns beobachten und analysieren können, nicht einfach global übertragen lassen. Es braucht hier vielmehr einen transnationalen Blick, der zum Glück in den Kulturwissenschaften heute auch weitgehend selbstverständlich geworden ist.
Sind aus historischer Sicht Zusammenhänge zwischen den Anfängen des Buchdrucks und denen des Internets zu erkennen?
Vielleicht eher gewisse Parallelen als Zusammenhänge. Es gibt einige strukturelle Ähnlichkeiten, auch wenn zum Beispiel die zeitliche Dimension nicht vergleichbar ist. Das Internet ist innerhalb kürzester Zeit sehr dominant geworden. Beim Buchdruck gab es zwar auch eine extreme Beschleunigung in der Anfangsphase, dann ging es aber doch recht lange, bis sich das Buch als eigenständiges Medium herausgebildet hat. Vielleicht stehen wir aber auch noch ganz am Anfang heute. Im Grunde genommen haben wir ja bisher – gerade im wissenschaftlichen Bereich – nichts anderes gemacht, als Bücher, Broschüren und Flyer ins Netz zu übertragen. Erst im Web 2.0 und vor allem mit dem aktuellen Trend zum Web 3.0, dem semantischen Web, geschieht etwas, das einen grundsätzlich neuen Charakter annehmen könnte.
Welches Medium wird zukünftig kulturprägend sein und damit als Leitmedium gelten?
Die Frage ist, ob es überhaupt sinnvoll ist, noch von einem kulturprägenden Leitmedium zu sprechen, wenn das Netz ja viele der bisherigen Massenmedien integrieren kann. Ich glaube, dass eher gefragt werden muss, wie sich die Medienrealitäten durch die Möglichkeit von Digitalität verändern. Und da würde ich sagen, dass Visualität und Interaktivität eine grössere Rolle in unserem Leben haben werden als bisher, alles andere aber aus der Perspektive eines Kulturhistorikers noch sehr offen zu sein scheint.
Dieses Gespräch ist die gekürzte Fassung einer E-Mail-Korrespondenz, die Michael Düblin, Informatikleiter der Schwabe AG, mit Peter Haber geführt hat.
Der Historiker PD Dr. phil. Peter Haber ist Privatdozent für Allgemeine Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Basel. Er hat sich mit einer Studie über Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter habilitiert. Im Netz ist er unter hist.net/peter-haber zu finden.