- Ausgabe: Print, Ausgabe 41, 9. Oktober 1997
Druckereien und Onlinedienste
Wir sprechen von der «Druckerei der Zukunft» – und denken in diesem Zusammenhang an das Zauberwort «Digitaldruck». Printing on Demand und Multimedia sind in aller Munde. Dabei übersehen wir geflissentlich, dass die Möglichkeiten, die sich bieten, nicht zuerst von Maschinen und Geräten, sondern von neuen Strukturen in den Unternehmen abhängen. Wie die Zukunft in den Druckereibüros tatsächlich aussieht, lässt sich vielleicht erahnen, wenn man über interne Abläufe, neue Arbeitsmittel und vor allem über neue Unternehmensformen nachdenkt.
Andere Branchen haben es vorgemacht: Das Zeitalter der Business-to-Business-Anwendungen im Bereich der Onlinedienste ist angebrochen. Das Internet, als gemeinsamer Nenner, wird zum globalen Marktplatz. Grossbanken und Chemiekonzerne wickeln schon einen beträchtlichen Teil ihrer Geschäftstätigkeit über das weltumspannende Netzwerk ab. Das bereits eingeführte Telebanking wird dem Internetbanking weichen.
Offertenfragen und Auskünfte via Net
Onlinedienste werden nicht nur die Produkte der Druckereien und Vorstufenbetriebe verändern, sondern sich auch in den administrativen Arbeitsabläufen niederschlagen. Kaum hat man sich daran gewöhnt, den PC als Mittel für die Offerterstellung effizient einzusetzen, werden bereits Projekte lanciert, die es dem Kunden ermöglichen, via Internet Offertanfragen einzuholen. «Print-Agent» nennt sich beispielsweise ein Projekt der Hallwag AG. Dieser Onlinedienst, seit knapp zwei Monaten auf dem Internet, erlaubt es dem Kunden, massgeschneiderte Offertanfragen an die Firma zu übermitteln. Eine definierte Schnittstelle sorgt dafür, dass die Daten vom betriebseigenen Kalkulationsprogramm weiterverarbeitet werden können.
Der Kunde wird den errechneten Preis aber nicht online mitgeteilt erhalten, sondern per Post oder E-Mail. Denn manuelle Überarbeitung und Kontrolle sind nach wie vor nötig. Dieses Beispiel zeigt, wie künftig in Druckereibüros gearbeitet wird. Denn Angebote wie «Print-Agent» lassen sich durchaus für die gesamte Branche realisieren. Doch auch beim Bestellwesen gibt es interessante Ansätze. So lassen sich beispielsweise Lagerbestände der Papierlieferanten durchaus via ihr Intranet, falls ein solches realisiert ist, abfragen, um rasch Auskunft über Preis und Verfügbarkeit der gewünschten Produkte zu erhalten.
Ein grundlegender Wandel in der grafischen Industrie
Die Druckereiadministration muss sich genau wie die Produktion Gedanken über neue Kommunikationsformen machen. Eine Sachbearbeitung, die das Internet als Spinnerei oder gar als Last für den Betrieb ansieht, wird rasch umdenken müssen.
Wir erleben nicht den ersten Wandel in der grafischen Branche, aber mit den Onlinemedien den bisher entscheidendsten. Denn es geht nicht wie bisher um eine Verfeinerung der Verfahrenstechnik, nicht wie bereits erlebt um Fragen wie die Ablösung des Bleisatzes durch den Offsetdruck oder das Potential des Desktop-Publishing. Technologieaspekte gehören gewiss auch die Dimension des aktuellen Wandels ist aber ungleich grösser.
Dass sich die Druckindustrie neue Leitbilder zu geben versucht, ist durchaus löblich; dass «visuelle Kommunikation» als Inbegriff des Wertewandels dient, kann nachvollzogen werden. Aber die Unberechenbarkeit gehört zum Wesen des Wandels. Wir wissen nicht, wo er hinsteuert, und hängen an den Lippen einiger Zukunftspropheten, um ihn verstehen zu können.
So wird dem gestalterischen Element, der Visualisierung, ein hoher Stellenwert eingeräumt – vielleicht ein zu hoher. Denn Visualisierung ist nur ein Teilerfordernis in dem Auftragsvolumen, das mit neuen Kommunikationsformen abgedeckt sein will.
In Tat und Wahrheit geht es um die reine Information. Informationen sammeln, sie aufbereiten und verteilen war schon seit je das klassische Gebiet der Druckereien und Verlage. Mit neuen Informationen umgehen zu können, in Administration und Produktion, wird für die Zukunft entscheidend sein.
Neue Unternehmensstrukturen
Die «Druckerei der Zukunft», eng verknüpft mit dem Schlagwort «Digitaldruck», wird es in diesem Sinne nicht geben. Ein Betrieb, der ausschliesslich Drucksachen erstellt, wird zum Zulieferanten einer Branche degradiert, die sich selber der Informationsaufbereitung verschrieben hat.
Der Begriff «Druckvorstufe» wird aus dem Vokabular verschwinden, denn diese Abteilungen werden je länger je mehr zu Datenaufbereitungszentren heranwachsen. Es bedarf mehr als einer Handvoll neuer Geräte, Maschinen und entsprechender Software, um sich im Geschäft der Zukunft behaupten zu können. Jeder Teenager kann heute Internetseiten erzeugen und auf das Netz aufschalten. Wir müssen uns klarmachen, dass die Kids von heute die Kunden von morgen sind. Und wir werden sehen, dass diese Kundschaft andere Ansprüche an ein Unternehmen stellen wird als die Möglichkeit, gedruckte Seiten quasi als digitales Abfallprodukt auf dem Internet oder auf einer CD-ROM zu platzieren.
Die Unternehmensstrukturen der meisten Druckereien zielen an diesen neuen Forderungen vorbei. Die Ansprüche an Sachbearbeiter und Druckereileiter werden gewaltig steigen. Vor allem aber werden die Strukturen der Vorstufe zu reden geben. Denn diese Abteilungen oder Betriebe sind die Drehscheibe für die Daten der Kunden. Hier werden sie aufbereitet und dem idealen Medium zugeführt – und das ist eben nicht in jedem Falle Papier.
Personelle…
In Bezug auf das Personal stellt sich vermehrt die Frage nach der «Tauglichkeit» für Projekte im Bereich der elektronischen Medien. Bei neuen Mitarbeitern, auch in Führungspositionen, muss in erhöhtem Masse ein Flair für multimediale Abläufe festzustellen sein. Bewegliches Denk- und flexibles Vorstellungsvermögen gehören zum Bild dieser neuen Fachperson und Führungspersönlichkeit. Dass es diese Fachpersonen auf dem Arbeitsmarkt so noch nicht allgemein gibt, hat auch die esig+ erkannt. Sie bietet mit comem+ seit diesem Herbst einen «Weg zum Informationsunternehmer» an. In einzelnen Modulen, die teilweise auch via Internet abzuarbeiten sind, setzt sich der Absolvent mit Themen wie «Technologie der Medien», «Medienmarketing» und «Management » auseinander. Aber auch sonst geht die zukünftige Fachhochschule neue Wege. Das Internet gehört für Direktor Antonio Abbondio zu den grossen gesellschaftlichen Phänomenen, die unsere gelebte Realität in hohem Masse beeinflussen werden. Es ist zu. hoffen, dass auch andere Ausbildungsstätten (und auch auf anderen Stufen) mit solch visionärem Gedankengut den nötigen Wandel zu vollziehen vermögen. Denn der Maschinenpark der Firmen ersetzt in keiner Weise das Know-how ihrer Mitarbeiter.
… und betriebliche Voraussetzungen
Wie Betriebe ihre Organisation neu gestalten können, lässt sich – noch einmal – am Beispiel der Hallwag AG zeigen. Um den neuen Herausforderungen zu begegnen, wurde 1995 die Druckvorstufe komplett umgeformt und in IDS (Informationsdesign-Systeme; Satz und Repro) umbenannt.
Mit Martin Stettler führt nun ein diplomierter Elektroingenieur mit Nachdiplom in Software-Engineering die gesamte Abteilung, die sich einerseits mit dem konventionellen ‘Bereich Satz und Repro beschäftigt, andererseits Daten für Projekte im Bereich Internet und CD-ROM weiterverarbeiten kann. Ausgebildete Informatiker arbeiten so in der gleichen Stufe mit gelernten Typografen, ohne künstliche Trennung durch verschiedene Geschäftseinheiten.
An diesem Beispiel wird ersichtlich, wie sich der Trend in der Vorstufe entwickeln könnte. Sicher ist es nicht selbstverständlich, dass ein Informatiker ohne entsprechendes Fachwissen eine solche Abteilung leiten kann. Wenn aber die Ausbildung dieses Wissen mit den neuen Anforderungen geschickt zu mischen weiss, scheint die Richtung vorgegeben.